Drei spannende und unterhaltsame Tage voller politischer Bildung in der deutschen Hauptstadt liegen hinter 35 Mitgliedern und Freunden des Heimatvereins Schortens. Auf Einladung von Hans-Werner Kammer fuhren wir am Mittwoch morgen in aller Frühe mit unserem Doppeldeckerbus in Heidmühle los, ab Varel begleitet von Reiseleiter Wieland Golder und ab Oldenburg bestens mit Getränken versorgt durch Käthe. Die Fahrt wurde geplant durch Vorsitzende Gabriele Böhling als Organisatorin.
Schon die zweite Pause am ehemaligen Grenzübergang Helmstedt-Marienborn war ein Ausflug in die deutsche Geschichte.
Dort ist in den Hallen und Wachgebäuden, die nach dem Transitabkommen 1971 errichtet wurden, eine Gedenkstätte an jene Zeit eingerichtete worden, in der 1000 Grenzbeamte Durchreisende nach West-Berlin so-wie Einreisende in die DDR und andere Ostblockstaaten kontrollierten.
Allein in der Zeit von 1985 bis 1989 sollen hier 34,6 Millionen Menschen abgefertigt worden sein, und auf der 35 Hektar großen Anlage, die nachts von zwölf begehbaren Lichtmasten, von denen jeder bis zu 8000 Watt Leistung hatte, ausgeleuchtet wurde, endete so mancher Fluchtversuch.
Wir kamen gegen halb zwei in unserem Hotel direkt am Teltowkanal an, und nach einer kleinen Verschnaufpause ging es um drei Uhr weiter zum Bundesrat. Das mächtige Gebäude mit seinem Säuleneingang, 1904 als Preußisches Herrenhaus errichtet und zu Zeiten der DDR als Akademie der Wissenschaften genutzt, beeindruckte uns mit seinen hohen Räumen, obgleich der Plenarsaal wegen eines ‘Dachschadens’ zur Zeit eine Baustelle ist. Bis vor 20 Jahren stand das Haus unmittelbar am Todesstreifen, der hier nur sieben Meter breit gewesen sein soll.
Die Wandelhalle des Hauses zeigt noch Reste von Deckenmalerei, die allerdings zu DDR-Zeiten beschädigt wurden, als man eine Zwischendecke einzog und den oberen Teil als Kantine nutzte. In den nun wieder freiliegenden drei Lichtkuppeln schweben Pendel, die ‘drei Grazien’, durch die darunter laufenden Menschen wie von Geisterhand bewegt. Die Sitzordnung, die Stimmverhältnisse und der Vermittlungsausschuss wurden uns erklärt, und auch, dass die vor der Tür stehenden 35 Pflanzkübel die absolute Stimmenmehrheit symbolisieren, die für einen Beschluss erforderlich sind.
Unser Bus wartete schon am Leipziger Platz, wo sich noch bis 1990 Fuchs und Hase Gute Nacht sagten, und weiter ging es zur Stadtrundfahrt. Vorbei am Bundesfinanzministerium, einem Klotz aus dem Dritten Reich, dem topmodernen Außenministerium, Schinkels Friedrichwerderscher Kirche, dem Alexanderplatz mit seinen Hochhäusern und der Wiese, auf der in den nächsten Jahren das Berliner Stadtschloss wiedererstehen soll ging es auf die Prachtstraße Unter den Linden und schließlich ins italienische Restaurant Cinque, dem Stammlokal vieler Politiker in unmittelbarer Nähe zur Berliner FDP-Zentrale.
Am Donnerstag fuhren wir bei Schauerwetter zum Bundeskanzleramt, wo es allein schon ein Erlebnis war, durch die Sicherheitsschleuse zu kommen. Im Gebäude selbst, das außen wie innen monumental wirkt, wurden wir ständig von Bundespolizisten begleitet, die auf keinen Fall mit aufs Foto durften. Unsere Führerin zeigte uns den Sitzungssaal des Kabinetts im sechsten Stock, in dem sich Bundeskanzlerin und Finanzminister mit Blickkontakt am großen Konferenztisch gegenüber sitzen, die Glocke, mit der Angela Merkel aber noch nie zur Ordnung rufen musste und die vierseitige Uhr, die Konrad Adenauer anschaffen ließ, um seinen Ministern das peinliche Heraussuchen der Taschenuhren zu ersparen. Am Tisch unter der wellenförmigen Decke, die die Entscheidungsfindung symbolisieren soll, sitzen Minister junger Ministerien näher zum Rand. Im Stockwerk darüber, auf Augenhöhe mit dem Bundestag, befindet sich das Büro der Kanzlerin. Die Rohrpost wurde uns gezeigt, und nach einem Blick auf großformatige Kunstwerke und den Bankettsaal, dessen helle Stuhlbezüge und Vorhänge einst von Doris Schröder-Köpf ausgesucht wurden, standen wir der Kanzlergalerie gegenüber. Am Ende der sieben Porträts leuchtete Gerhard Schröders goldener Kopf, umringt von Affen.
Weiter ging es ins Deutsche Historische Museum im ehemaligen Zeughaus unter den Linden. Im riesigen Lichthof mussten wir uns entscheiden für den Rundgang von den Germanen zum 19. Jahrhundert oder für die Neueste Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Im Obergeschoss werden unter anderem Rüstungen und eine Pesthaube aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, ein Türkenzelt von der Belagerung Wiens 1689 und die Verfassung der Paulskirche von 1848 aufbewahrt.
Zurück ging es in Richtung Regierungsviertel, diesmal zum Bundestag. Im Plenarsaal wurde uns erklärt, wie Dauerrednern der Strom abgestellt wird, wie viel ein Abgeordneter oder auch nur sein Praktikant verdienen und wie der Hammelsprung funktioniert. Das Fragenstellen überließen wir lieber den Schülern, die die Tribünen um uns herum bevölkerten und wohl zum Teil unter Schlafentzug litten. Der anschließende Blick auf die Reichstagskuppel war leider durch Regen getrübt.
Nach einem Imbiss am Berlin Pavillon fuhren wir stadtauswärts nach Hohenschönhausen, wo sich in einer ehemaligen Volksküche der NS-Zeit das Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit befand. In zwei Gruppen, geführt von ehemaligen Häftlingen, wurden wir durch beklemmende Kellerräume ohne Fenster geführt, in denen die Menschen nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 mit 24 Personen auf ihre Vernehmung warten mussten. Gleich nach Kriegsende war das Gebäude Internierungslager der Sowjets, in dem unter anderem der Schauspieler Heinrich George starb. Die Zeitzeugen beschrieben eindringlich, wie sie sich im U-Boot genannten Kellerbereich in ihren nur mit Holzpritsche und Kübel ausgestatteten Zellen weder hinsetzen noch tagsüber hinlegen durften, wenn sie nicht gleich in die Wasserzelle kamen, wo sie stundenlang im Nassen stehen mussten, und wie sehr sie sich sogar auf das Verhör freuten, um endlich mit jemandem sprechen zu können. Nach dem Mauerbau wurde 1961 nebenan ein großes Gefängnis errichtet, in dem es mehr Vernehmerzimmer als Zellen gab. Die ehemaligen Gefangenen führten mit uns ein Verhör und zeigten uns die psychologischen Tricks der Stasi-Offiziere. Wenn ein Häftling krank wurde, wurde er nicht einfach über den Hof in die Krankenstation gebracht, sondern mit einem Wagen durch halb Berlin gefahren, bei Verlegungen aus anderen Gefängnissen konnten inhaftierte schon mal eine Woche mit dem Zug in der gesamten DDR unterwegs sein.
Zeit zum Nachdenken hatten alle dann beim Abendbrot in der Nähe des Charlottenburger Schlosses, nach dem es wieder zurück ins Hotel ging.
Am Freitagmorgen fuhren wir, bereits mit gepackten Koffern, ins alte Westberlin an den Wittenbergplatz, um die Riesenauswahl des Kaufhauses des Westens (KadeWe) zu bewundern. Wen Geld ausgeben weniger interessierte, konnte sich auch in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche umsehen. Am Abend waren wir gegen sieben Uhr wieder zurück in Heidmühle.
Ein besonderer Dank gilt der Organisatorin und Vorsitzenden Gabriele Böhling.
JeWo vom 10.09.09