Otto Riechelmann

Pastor in Schortens

Von Gert Riechelmann

 

 

 

Annemarie und Otto Riechelmann, 1933

Mein Vater wurde am 15. Juni 1907 in Stelle als Sohn des Pfarrers Superintendent Otto Riechelmann und seiner Frau Elisabeth, geb. Gräfin von Bothmer, geboren. Sein Vater konfirmierte ihn am 20. März 1921 in Walsrode. Sein Konfirmationsspruch lautete: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, dazu Du auch berufen bist und bekannt hast ein gut Bekenntnis vor vielen Zeugen.“ Bis 1922 besuchte er das Gymnasium in Verden und studierte in Erlangen und Göttingen.

Vier Schwestern, Irmgard (Oberin), Mechthild (Hausfrau), Gertrud (Pflegeschwester wegen erlittener Kinderlähmung) und Waltraut (Kindergärtnerin) wuchsen mit ihm auf. Am 27. Oktober 1933 heirateten meine Eltern in Bad Zwischenahn. Nach erfolgter Beendigung seiner Examina trat er seine erste Vikarstelle in Aurich an, wo ich 1935 geboren wurde. Über einen weiteren Vikardient in Wehnen trat er sodann seine Pfarrstelle in Schortens an. 1938 wurde mein Bruder Jürgen geboren.

Bis ins Mittelalter waren die Vorfahren von meinem Vater in der Mehrheit alle Pastoren. Mein Vater wurde gleich Anfang des Kriegs eingezogen. Sein Militärdienst und damit die Ausbildung zum Divisionspfarrer führte ihn über Belgien-Frankreich einschließlich Westwall zunächst bis Griechenland. Die ganze Art und Weise seiner einfühlsamen Seelsorge auf allen Gebieten wurde, wie meine Mutter erzählte, von seinen Kameraden sehr geschätzt. Davon bekam auch der danalige Befehlshaber der Heeresgruppe Süd, von Manstein, Kenntnis und setzte sich dafür ein, dass mein Vater zu seiner Heeresgruppe abkommandiert wurde. Der schöne Grundsatz der Riechelmänner, wie Vater einmal sagte, heißt: „Non videri set esse“ (nicht scheinen sondern sein). „Immer rangeklotzt und nicht gezittert“, hat er auch einmal gesagt. Danach handelte er auch.

Wir hatten so sehr gehofft, dass unser Vater nach Kriegsschluss wieder heimkehrt. Aber es kam anders. Mit einem Lazarett kam er in amerikanische Gefangenschaft, wurde jedoch nach kurzer Zeit an die Russen ausgeliefert. Auf dem Weg in die ungewisse russische Gefangenschaft nutzten mein Vater mit zwei Ärzten und zwei Krankenschwestern eine passende Gelegenheit und flohen während des Transports aus dem Bus. Es war nachts, der Weg sollte über die Karpaten nach Deutschland gehen. Als er in dem dunklen gebirgigen Gelände die Führung übernahm, stürtze er plötzlich ab in einen Steinbruch. Sofort angelte sich ein ärztlicher Kollege zu ihm hinab. Dort stellte er fest, dass mein Vater sich wegen der schweren Verletzungen in akuter Lebensgefahr befand, es gab keine Rettung mehr. Der Arzt versuchte sein Leiden zu lindern und gab ihm ein erlösendes Medikament. Die letzten Worte meines Vaters, bevor er die Augen für immer schloss, waren. „Ich möchte, dass meine Kinder echte Christen und Deutsche bleiben.“ Die beiden Ärzte und Schwestern kehrten wohlbehalten nach Hause zurück.

Für uns brach eine Welt zusammen. Aber unsere liebe Mutter hat bis an ihr Lebensende sich nicht unterkriegen lassen und ist meinem unvergessenen Jürgen und mir auf allen Ebenen eine herzensgute Mutter gewesen. Das konnte sie sein mit unseren treuen Schortenser Mitbürgern im Herzen. Wie meine Mutter mir früher erzählte, gab es Versuche der Nationalsozialisten, meinen Vater zum Eintritt in die Partei zu bewegen. Er ließ sich jedoch in keinster Weise beirren, sondern handelte auch hier getreu seinem oben aufgeführten Leitsatz zur Konfirmation. Von den schrecklichen Judenvernichtungen bekam mein Vater erst 1944 Kenntnis. Sein christlicher Glaube, verbunden mit seiner seelsorgerlichen Fürsorge für die Gemeinde, Mitmenschen überhaupt und seinen Kameraden in der damaligen Wehrmacht, lag ihm ganz besonders am Herzen. Diese Resonanz besonders in seiner/unserer Heimatgemeinde Schortens ist und bleibt meine dankbare Erinnerung an unsere so treuen Schortenser Mitbürger. Neben vielen anderen möchte ich hier die Familien Folkers, Bruns und Grahlmann nennen. Wie freue ich mich, dass mit den Herren Johannes Peters und Rudi Rabe unsere Heimat Schortens mit dem Heimatverein dort so wohltuend in unvergessener Erinnerung bleibt. Für mich als noch lebender Riechelmann, der diese unvergessenen Jahre erleben durfte, hat Schortens einen besonderen Ankerplatz in meinem Herzen. Er ist und bleibt einfach ein ganz besonderer Ort, den ich, so oft es meine Gesundheit zulässt, immer gern besuche.