BRAUCHTUM Glockengeläut von Hand gehört in Schortens zur festen Begleitmusik an Heiligabend
Läuten die Weihnachtszeit von Hand ein: Manfred Onken, Hermann Reck und Horst Janßen v.l. sind mit Johannes und Hilko Peters die Beierleute von Schortens.
BILD: OLIVER BRAUN
DAS TRADITIONELLE GLOCKENGELÄUT IM HANDBETRIEB IST SCHWERSTARBEIT. IM JAHR 1862 WURDE DAS BEIERN FEST AN MITARBEITER DER ST.-STEPHANUS-KIRCHE ÜBERTRAGEN.
Schortens – Wenn Heiligabend von 17 bis 18 Uhr das Glockengeläut von St. Stephanus im Dreiklang über Schortens erklingt und die Weihnachtszeit einläutet, dann kommen Johannes und Hilko Peters, Hermann Reck, Manfred Onken und Horst Janßen ins Schwitzen und müssen aufpassen, dass ihnen oben im Glockenturm nicht der Kopf platzt.
Die fünf sind die Beierleute der St.-Stephanus-Kirche von Schortens und schlagen zu Weihnachten – und auch zu Silvester – die bis zu 95 Kilogramm schweren Klöppel von Hand gegen die drei Glocken. So erzeugen sie einen ganz besonderen Klang. „Ohne Ohrenschützer hält man das hier oben im Glockenturm aber nicht aus“, sagt Hartmut Reck.
Doch die Ohren zuhalten können sich die Glöckner von Schortens nicht, das müssen Ohrstöpsel übernehmen: Reck und seine Mitstreiter brauchen beim Beiern alle Hände, um die schweren Metallklöppel in einem bestimmten Rhythmus an die Glocke zu schlagen. „Trotzdem dröhnt uns allen hinterher ordentlich der Schädel“, sagt Onken. Er steht mit Reck an der Nordglocke.
Beim Beiern wird bei feststehender Glocke der Klöppel von Hand rhythmisch gegen die Glocke geschlagen. „Erst leise, dann immer kräftiger und immer lauter, am Ende zwei kräftige Schläge und dann von vorn beginnend“, erklärt Johannes Peters, der mit seinem Sohn Hilko die Südglocke bedient. Dabei wird zeitlich versetzt angefangen, damit jeweils nur eine Glocke laut angeschlagen wird. Damit die Beierleute zwischendurch zu Kräften kommen, wird im zehnminütigen Wechsel auf elektrischen Glockenbetrieb umgeschaltet. „Das klingt dann natürlich nicht so schön wie von Hand angeschlagen“, sagt Westglocken-Beierer Horst Janßen.
Das so genannte Beiern ist keine Schortenser Erfindung, sondern ein jahrhundertealter Brauch, der auch in Ostfriesland noch weit verbreitet ist. „Das Beiern sollte die bösen Geister vertreiben“, sagt Johannes Peters.
In früheren Jahrhunderten haben Jugendliche das Beiern übernommen, die dafür im Dorf Essen und Trinken bekamen. Doch mit dem Beiern wurde auch viel Unfug betrieben, und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Und so beschloss der Schortenser Kirchenrat anno 1862, diesen Brauch nur mit Kirchenmitarbeitern fortzusetzen.
Nach einer Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg hat der mittlerweile verstorbene Kirchenälteste Hans-Wilhelm Grahlmann den Brauch des Beierns 1947 in Schortens neu belebt.„Zum Beierer wird man berufen“, sagt Johannes Peters. Sein Sohn Hilko als jüngstes Mitglied der Schortenser Beierleute sei bereits die sechste Generation in der Familie Peters, die diese ehrenvolle Aufgabe übernimmt. „Zu den Beierleuten gehört man dann den Rest seines Lebens – oder zumindest so lange, wie man gesundheitlich dazu in der Lage ist“, sagt Horst Janßen.
Wird heute nur zu Heiligabend und zu Silvester gebeiert, so wurde in früheren Jahren für die im Stall tätigen Bauern der Nachbarschaft zusätzlich auch am Morgen des ersten Weihnachtstags die Glocke von Hand geschlagen.
Silvester, so ist es Brauch, klettert dann auch der Schortenser Bürgermeister nach oben auf den Glockenturm, überbringt die Grüße der politischen Gemeinde und einen guten Tropfen „Glockenschmeer“. Den lassen sich die Beierleute dann am Neujahrstag mit ihren Frauen schmecken. Auch das ist in Schortens Brauch von alters her.