KORRUPTION
Quelle: DER SPIEGEL 28/1959 – Kredit für Kredit.
Als die Bonner Staatsanwaltschaft Mitte vergangener Woche der Öffentlichkeit in einem Kurzkommuniqué ihre Bestechungs-Anklage gegen den Bonner Ministerialrat Josef Siemer kundtat, vermied sie es, darauf hinzuweisen, daß der Fall Siemer nicht von staatlichen Wächtern republikanischer Beamtentugend, sondern vom SPIEGEL entdeckt worden war.
Etwas unpräzis meldete denn auch die Deutsche Presse-Agentur, „die Staatsanwaltschaft“ sei dem Korruptionsfall „bereits im vorigen Jahr auf die Spur gekommen“.
In Wahrheit hatte DER SPIEGEL schon im Oktober vorigen Jahres berichtet, daß der Ministerialrat Siemer Autos fuhr, die er bestenfalls teilweise bezahlt hatte. Außer diesem Ministerialrat, den die Staatsanwaltschaft der schweren passiven Bestechung beschuldigt, sind das Vorstandsmitglied der Wilhelmshavener Olympia-Werke AG, Wilhelm Brok, 58, und der Olympia-Prokurist Dr. jur. Hans-Georg Rodig, 53, jetzt angeklagt worden – der erste wegen fortgesetzter aktiver Bestechung, der zweite wegen Begünstigung.
Dank der Gefälligkeiten, die beide Olympia-Herren dem Ministerialrat Siemer erwiesen, konnten die Wilhelmshavener Olympia Werke, deren Schreib- und Rechenmaschinen weltweit Ansehen genießen, in den Jahren 1951 bis 1957 rund acht Millionen Mark staatlicher Kredite einstreichen.
Am Bonner Geldhahn saß damals, als der Kapitalmarkt überaus angespannt war und jeder Kredit einen erheblichen Wettbewerbs-Vorteil einbrachte, der heute 53jährige Lehrerssohn Josef Siemer, der durch einen glücklichen Zufall von Wilhelmshaven an der Nordseeküste in die provisorische Bundeshauptstadt am Rhein verschlagen worden war.
Ein – anderer – Ministerialrat aus dem Bonner Arbeitsministerium hatte um die Jahreswende 1949/1950 den Ex-Reichskriegshafen Wilhelmshaven besucht, der nach den britischen Demontagen bittere Not litt. Bei seinen Bemühungen, die Wilhelmshavener Industrie wieder hochzupäppeln und Wohlstand zu säen, stieß dieser Ministerialrat alsbald auf einen erstaunlich agilen Lokalexperten, den Leiter des Wilhelmshavener Arbeitsamts, Josef Siemer.
Bald darauf, Mitte 1950, holte der Bonner Notstands-Experte den Wilhelmshavener Arbeitsamtsleiter Siemer zu seiner Unterstützung ins Bundesarbeitsministerium. Fortan teilte sich Siemer mit seinem Entdecker in die Bonner Notstands-Amtsgeschäfte, wobei er sich vorwiegend mit Arbeitsbeschaffungs-Projekten für lohnintensive Wirtschaftsunternehmen in Niedersachsen befaßte. Bei der Vergabe von Millionenkrediten hatte Siemer – mittels freier Ermessensentscheidungen – ein entscheidendes Wort mitzusprechen.
Dem Außenseiter von der Nordseeküste, zum Ministerialrat avanciert, stiegen die Bonner Würden rasch zu Kopf. Zu derselben Zeit, als er öffentliche Notstandsprogramme entwarf, kurbelte er auch ein privates Sanierungsprogramm an.
Sein Bedürfnis nach geziemender sozialer Reputation hatte Siemer schon vorher befriedigt: Der Gerichtsassessor, der die beiden juristischen Staatsprüfungen mit mäßigen Zensuren bestanden hatte, nannte sich seit fast zwei Jahrzehnten „Dr. jur.“. Daß er – wie von ihm behauptet – vor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Kieler Universität im Jahre 1933 promoviert habe, weiß jedoch kein Zeuge zu bestätigen. In den Hochschul-Verzeichnissen ist eine Siemer-Dissertation nicht zu finden.
Das private Sanierungsprogramm sah zunächst vor, daß Josef Siemer neben dem Doktorgrad auch ein Auto führte – anfangs einen Volkswagen, alsdann repräsentativere Gefährte der Mittelklasse. Schließlich kaprizierten sich die Wünsche des Bonner Ministerialbeamten auf ein Wochenendhäuschen.
Bei der Verwirklichung solcher Daseinsvorsorge-Pläne traf es sich gut, daß Siemer schon im Krieg das Arbeitsamt Wilhelmshaven geleitet und die Spitzen der lokalen Industrie intensiv kennengelernt hatte. Diese Industrie-Manager ihrerseits wußten offenbar genau, mit welchen Hilfsmitteln sie das amtliche Interesse einzelner Ministerialbürokraten an Dienstgeschäften zu steigern vermochten. Olympia-Generaldirektor Wussow und sein kaufmännischer Direktor Brok verfügten über Spezialfonds, aus denen geschmackvolle Aufmerksamkeiten bestritten wurden. Solche Olympia-Liebesgaben machten dem Sortiment eines mittleren Kaufhauses Ehre. Nach den Ansprüchen der Damen und Herren mit mehr oder minder weitreichenden Ermessensfreiheiten sorgsam differenziert, wurden Pantoffeln und Kartenspiele, Eßbestecke, Tabletts und Kognak-Schwenker, Taschenmesser, Brieftaschen und Necessaires verteilt.
Ihren Bonner Verbindungsmann zu öffentlichen Geldern, den Ministerialrat Siemer, beehrten die Olympia Werke nicht nur mit derart profanen Präsenten. Sein Wohlwollen war den Wilhelmshavener Schreibmaschinen-Fabrikanten mehr wert. Zwecks Intensivierung der Geschäftsbeziehungen durfte Siemer 1951 von den Olympia Werken einen- neuwertigen Volkswagen der Export-Klasse zu einem günstigen Vorzugs-Preis in Raten erwerben.
Dieses Fahrzeug genügte dem Beamten ein gutes Jahr lang. Dann wünschte er auf einen Ford umzusteigen. Dieses Gefährt bezog Siemer wiederum von der Schreibmaschinen-Fabrik – diesmal zum halben Kaufpreis. Außerdem übernahmen die Olympia Werke die Kosten für Steuern und Versicherung.
Zwei Jahre später durfte Siemer den Ford gegen ein nagelneues Exemplar desselben Typs gratis bei den Olympia Werken umtauschen. Nun übernahmen die Wilhelmshavener Gönner außer Steuern und Versicherung auch die Wartungskosten.
Wiederum zwei Jahre später – 1956 wollte Josef Siemer seine Sehnsucht nach einem Wochenendhaus befriedigen. Olympia-Manager Brok hatte Verständnis für standesgemäßen Komfort. Aus 7c-Mitteln eiste Brok ein steuerbegünstigtes Baudarlehen in Höhe von 10 000 Mark los.
Nicht ganz zwei Jahre später meinte Siemer, neben einem eigenen Häuschen auch einen Wagen ganz sein eigen nennen zu müssen. Beamtenmäzen Brok half prompt mit einem Darlehen über etwa 7300 Mark aus, das Siemer, stets auf Abwechslung bedacht, in ein Automobil der Marke Opel verwandelte.
Da nicht nur die Olympia Werke, sondern auch andere Wilhelmshavener Firmen die Vorteile billiger Staatskredite zu schätzen wußten, sah sich Ministerialrat Siemer in der angenehmen Lage, auch von der Streichgarnspinnerei Freymark, Büch & Co. Geldgeschenke in Höhe von mehreren tausend Mark kassieren zu können.
Siemer revanchierte sich, indem er dafür sorgte, daß zugunsten der Streichgarn-Industrie die Umsatzausgleichsteuer für den Import von Lumpen gestrichen wurde.
Den Olympia Werken ging er unterdes bei der Beschaffung von Aufträgen sachkundig zur Hand. Sogar um den Wohnungsbau für „Führungskräfte“ des Werks kümmerte er sich. Vornehmlich der Fürsprache des lokalpatriotischen Ministerialrats verdanken es die Olympia-Herren, daß sie für ihr Bauprojekt „Führungskräfte“ von der öffentlichen Hand 650 000 Mark erhielten.
Dieses ersprießliche Gegenseitigkeits-Hilfswerk des Ministerialrats Siemer und der nach amtlicher Sprachregel notleidenden, in Wahrheit munter prosperierenden Industrie des Reichskriegshafens Wilhelmshaven nahm ein jähes Ende, als DER SPIEGEL im Oktober vergangenen Jahres der Öffentlichkeit und der Staatsanwaltschaft Bonn in diese nutzbringende Kombination von Amts- und anderen Geschäften Einblick bot (SPIEGEL 42/1958).