Werkschließung bei AEG schadet dem Daimler-Image
Ein paar Sekunden lang sagt Ernst Georg Stöckl gar nichts mehr. Mit seinen kräftigen Armen stützt er sich auf das Rednerpult, die Finger umkrallen den vorderen Rand. Der Mann sucht Halt.
Vor dem AEG-Chef, in Halle 26 des Olympia-Werks Wilhelmshaven, brüllen und pfeifen gut tausend Beschäftigte. Holger Ansmann, der Betriebsrat, warnt Stöckl: „Wenn Sie die Mitarbeiter hier verhöhnen, dann kann ich für die Sicherheit nicht mehr garantieren.“
Geduldig hatte die Belegschaft zunächst zugehört, als Stöckl seinen Text vorlas. Sie wußten ja alle vorher, was der Chef ihnen sagen würde: „Rote Zahlen . . . keine tragfähige Zukunft . . . der Markt zwingt uns . . . haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht . . .“
Das Werk, das mit 2700 Beschäftigten seit Jahren Schreibmaschinen produziert, die mit japanischen Geräten kaum konkurrieren können, soll bis Ende 1992 geschlossen werden.
Die Beschäftigten ahnten aber nicht, daß der Mann mit der getönten Brille auch Sätze sagen würde, die wohl so etwas wie Mitgefühl ausdrücken sollen, doch wie bitterer Hohn wirken: „Ich kann mich gut in Ihre Lage versetzen, ich will Ihnen auch übermorgen noch in die Augen schauen können.“
Als Stöckl das Rednerpult verläßt, versucht der Betriebsrat, die Gemüter zu beruhigen. „Wir geben nicht auf“, sagt Ansmann gleich dazu. „Die AEG und die Mutter Daimler-Benz werden noch einige Überraschungen erleben.“
Es klingt wie eine Drohung und ist doch nur eine schlichte Feststellung. Der Betriebsrat wählt seine Worte sehr genau. Massive Protestaktionen laufen an, Deutschlands größtem Konzern stehen völlig neue Erfahrungen bevor.
An Demonstrationen gegen den Rüstungskonzern Daimler-Benz haben sich die Männer um Konzernchef Edzard Reuter gewöhnt. Nun aber ist Daimler-Benz erstmals Ziel ganz anders gearteter Proteste: Der Name des Konzerns steht mit einem Mal auch für Massenentlassungen. Wird das Werk in Wilhelmshaven dichtgemacht, steigt die Arbeitslosenquote dort auf über 25 Prozent.
Die Stadt im Norden ist sieben Stunden Bahnfahrt von Stuttgart entfernt. Olympia-Beschäftigte legen die Strecke jetzt häufig zurück. Jeden Morgen um acht Uhr beziehen einige von ihnen Posten direkt vor dem Haupteingang der Daimler-Konzernzentrale.
„Das ist er“, sagt Otto Harms, als gegen halb zehn ein dunkelgrüner Mercedes vorbeirollt, dicht gefolgt von einem schwarzen Mercedes.
Der Feinmechaniker von Olympia sagt es fast beiläufig, mit gleichgültiger Stimme. Allenfalls ein wenig Schadenfreude ist herauszuhören. Wenn er in sein Vorstandsbüro will, muß er hier durchfahren. Vorbei an den meterlangen Transparenten: „Mahnwache“, „Reuter läßt Olympia hängen“.
Edzard Reuter sieht nicht hoch, als er im Fond des grünen Wagens Otto Harms und die Protestschilder passiert. Eine Schranke hebt sich, die Autos verschwinden in einer Tiefgarage.
Aus solch demonstrativer Nichtbeachtung erwachsen Harms und seinen Kollegen keine Zweifel am Sinn ihrer Aktion. „Das tut denen weh“, sagt Harms.
Die Konzernzentrale ist kein Protzbau. Es ist eine kleine, sehr feine und sehr noble Siedlung. Die verschachtelten Bauten symbolisieren nicht Größe und Macht. Sie wirken vornehm und fast schon zurückhaltend. So hat es der feinsinnige Edzard Reuter gern.
Ein schärferer Kontrast dazu ist kaum vorstellbar als die Spruchbänder und Protestplakate vor dem Eingang, an dem täglich über 2000 Daimler-Beschäftigte vorbeikommen. Einige rufen den Protestlern kurz zu: „Viel Glück, macht weiter so.“ Andere schimpfen: „Was soll der Mist, geht lieber schaffen.“
Viele Daimler-Beschäftigte wollen nicht einsehen, was sie mit den Problemen einer Schreibmaschinenfabrik an der Nordsee zu tun haben. Holger Ansmann könnte es ihnen erklären.
Vor drei Jahren schon hat der Olympia-Betriebsrat Alarm geschlagen. Mit Schreibmaschinen, das war abzusehen, kann die Firma ihre Existenz nicht sichern. Ansmann forderte Produktionsverlagerungen aus dem riesigen Daimler-Imperium nach Wilhelmshaven.
Der gelernte Industriekaufmann bewies mehr Weitsicht als der damalige AEG-Chef Heinz Dürr und der Aufsichtsrat Reuter. Von dem insbesondere ist Ansmann arg enttäuscht.
Der Betriebsrat hatte einen Band mit Vorträgen des Managers über Moral und Ethik und die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers gelesen. Inzwischen kommt ihm das „wie pures Geschwätz“ vor.
Ansmann redet sich richtig in Rage, wenn er darüber schimpft, daß Reuter drei Jahre lang nicht reagiert hat, daß dieser Weltkonzern keine neue Beschäftigung für das Werk im Norden fand. Nun läßt Reuter nur noch ausrechnen, wieviel hundert Millionen Mark die Stillegung kostet.
Reuters Rechnung kann nie ganz stimmen. Sie unterschlägt den Imageschaden, den die Protestaktionen noch verursachen werden.
„Wir Friesen gelten ja als sehr bedächtig“, sagt eine Betriebsrätin. „Man kann uns schon ein paarmal in den Hintern treten, bis wir uns wehren, aber dann sind wir nicht so leicht zu stoppen.“
Ständig kommen Beschäftigte ins Betriebsratsbüro mit Vorschlägen für neue Aktionen. Sie wollen zu den Autofabriken fahren, die Auslieferung blockieren. Sie wollen sich vor den Toren anketten, den Betrieb besetzen.
Die aufgebrachte Belegschaft zwingt Holger Ansmann zu einer Gratwanderung. Einerseits will er so viel Protest organisieren, daß Daimler gehörig unter Druck gerät. Andererseits sollen die Konzernchefs in Stuttgart noch die Möglichkeit haben, ohne Gesichtsverlust nach einer neuen Lösung zu suchen.
Alle Proteste sind aussichtslos und sinnvoll zugleich. Daimler-Benz wird die Entscheidung, das Werk zu schließen, nicht zurücknehmen. Doch der Konzern wird spüren, wie hoch der Preis sein kann, der für Mißmanagement zu zahlen ist.
Die Mahnwache vor der Daimler-Zentrale bereitet sich bereits auf den Winter vor. In dieser Woche wollen die Arbeiter eine Blockhütte errichten.
Aus den Verwaltungsgebäuden in Stuttgart, über denen der Stern sich dreht, dringen des öfteren Zeichen von Verständnis und Mitgefühl. Eine Frau im lachsfarbenen Kostüm bringt den Mahnwächtern draußen Kaffee und Kekse.
Sie glaubt auch nicht, daß der Protest Erfolg haben wird. Aber“wir wollten Sie ein wenig unterstützen“, sagt sie den Männern vor dem Tor und geht gleich wieder zurück in ihr Büro. Länger verweilen als unbedingt nötig mag sie dann doch nicht zwischen Protestplakaten und Spruchbändern.