Erinnerungen an meine Kinderzeit in Groß-Ostiem, Plaggestraße

(von Hartmut Kästner)

Der Zweite von oben bin ich

Geboren 1948 in Groß-Ostiem, Plaggestraße, unweit der heutigen Verlässlichen Grundschule Schortens, verlebte ich meine Kindheit. Eingeschult wurde ich im April 1954 in der Volksschule Schortens, Klein-Ostiemer-Weg, nahe der Schortenser St. Stephanus-Kirche. Von allen Schülern und Schülerinnen meiner Klasse hatte ich den längsten Schulweg zu bewältigen.
Wenn ich morgens den Weg zur Schule antrat, so gegen 7.30 Uhr, herrschte eine himmlische Ruhe. Die „Olympianer“ waren bereits an ihrem Arbeitsplatz und sonstiger Autoverkehr war selten. Nur ab und zu krähte ein Hahn in der Ferne.
In der Vorweihnachtszeit – ich glaubte mit sechs Jahren noch an den Weihnachtsmann – schaute ich auf dem Weg zur Schule angestrengt nach dem Mann im roten Mantel und schwarzen Gürtel, der sich doch irgendwann einmal sehen lassen musste. Doch leider ohne Erfolg. Was mir nicht vergönnt war, erlebte viele Jahre später meine Tochter. Es war Heiliger Abend und meine
Frau dekorierte den Weihnachtsbaum und platzierte die Geschenke. Meine Tochter war damals so etwa vier oder fünf Jahre alt und wir hielten vor unserer Haustür Ausschau nach dem Weihnachtsmann. Plötzlich rief sie ganz aufgeregt, dass der Weihnachtsmann mit seinem Rentierschlitten gen Himmel fuhr.
Als ich nach oben schaute, war kein Rentierschlitten oder ähnliches zu sehen.
Noch heute behauptet sie felsenfest, diese Wahrnehmung gehabt zu haben.

In Ostiem gab es noch eine zweigleisige Schule im Theilenweg, die aber einen noch entfernteren Schulweg für mich bedeutet hätte. Ein paar Jahre später wurde die Ostiemer Schule aufgelöst und die SchülerInnen wurden der Volksschule Schortens zugeordnet. Der Leiter der Schule, Rektor Luths, ging in den Ruhestand. Die zweite Lehrkraft, Herr van Oel, unterrichtete fortan an der Schortenser Volksschule.

Unsere Klassenlehrerin war in den ersten vier Jahren, Frau Novack, die gleich neben der Schule wohnte. Unter Leitung von Frau Novack wurde jährlich ein Tagesausflug mit einem Pekol-Reisebus unternommen. Es ging dann zu „Onkel Heini“, Logabirumer Zoo, der heute nicht mehr existiert oder zum Zwischenahner Meer. Eine weitere Ausflugsfahrt ging zu den Großsteingräbern um die „Visbeker Braut“. Höhepunkt der Ausflüge war jedoch eine mehrtägige Fahrt nach Goslar mit Übernachtung in einer Jugendherberge. Damit alle Schüler und Schülerinnen an den Ausflügen teilnehmen konnten, wurden bei den finanzschwachen Familien die Reisekosten bezuschusst oder ganz übernommen, denn der wirtschaftliche Aufschwung war erst
im Kommen. Kaum hatten wir mit dem Bus Schortens verlassen, holten einige der mitfahrenden Mütter Schüsseln mit Kartoffelsalat aus ihren Taschen hervor, der dann zu früher Stunde bereits genussvoll verspeist wurde. Meine Mutter hatte nichts dergleichen mitgenommen, da ich Kartoffelsalat nicht leiden konnte.

Auch die durchgeführten „Wandertage“ erfreuten sich bei den SchülerInnen großer Beliebtheit. Sie führten z. B. ins Freibad Heidmühle, in den Upjeverschen Forst oder in Richtung Dykhausen. Im Upjeverschen Forst wurden von den direkt beim Forsthaus stehenden Buchen, die Bucheckern gesammelt. Wie ich hörte, sollten die Früchte der industriellen Verarbeitung zugeführt werden.

Ein Erlebnis waren auch die Filmvorführungen des Kreisfilmdienstes. Man muss bedenken, dass das Fernsehen zu der Zeit noch nicht sehr verbreitet war.

Irgendwann hatten wir von Frau Nowak, als Hausaufgabe ein Gedicht zum nächsten Tag auswendig zu lernen, erhalten. Mir fiel das erst kurz vor Antritt meines Schulweges wieder ein. Mein Onkel musste wohl oder übel mich begleiten und das Gedicht abhören. Glücklicherweise kam ich zum Aufsagen nicht zum Zuge, da die Stunde zu Ende war.

In den Pausen spielten die Mädchen vorwiegend auf dem Schulhof „Hinkepink“. Auch Seilspringen war sehr beliebt. Die Jungens waren mehr dem Knicker- oder Murmelspiel zugetan. Das Fußballspielen war auf dem Schulhof verboten.

Ab der fünften Klasse wurde uns Herr Hartmann zugeteilt, der meines Wissens als Flüchtling aus Pommern in Schortens eine neue Heimat gefunden hatte. Im Fach „Geschichte“ hatte Lehrer Hartmann die Gabe, den Unterricht so zu gestalten, dass man sich tatsächlich in die beschriebene Zeit zurückversetzen konnte. Für mich war es immer die spannendste Unterrichtsstunde. Mit Beginn des 5. Schuljahres wurde erstmalig Englischunterricht angeboten. Teilnehmen durften damals nur die Schüler, die im Deutschunterricht eine gute Note vorweisen konnten. Unsere Englischlehrerin war Fräulein Rykena. An einem
Tag hatte ich während des Englischunterrichts Micky-Maus-Hefte zum Tauschen mit anderen Schülern mitgebracht und wurde dabei erwischt. Am folgenden Tag wurde ich zu ihr nach Hause einbestellt. Sie klärte mich auf, welch schlechten Einfluss diese Hefte auf mich haben und bot mir zum Tausch 20 Micky Maus-Hefte gegen ein Robinson-Crusoe-Buch an. Ich lehnte das Angebot jedoch dankend ab. Wer weiß, vielleicht wollte Frl. Rykena die Hefte selbst lesen? Ein Vermerk im nächsten Zeugnis war mir sicher. Der lautete „Hartmut handelt mit Schmutz- und Schundheften „. Noch heute lese ich die MM-Hefte liebend gern und von einem angedichteten „schlechten Einfluss“ hat sich meines Erachtens nichts bewahrheitet.

In der 9. Klasse, wir waren die 1. Klasse die neun Schuljahre absolvieren musste, hatten wir als Klassenlehrer, Herrn Kühnert. Zum Werkunterricht mussten wir uns immer zu der neu erbauten Grundschule an der Plaggestraße begeben. Es war immer die letzte Unterrichtsstunde des Tages. Dort gab es einen gut ausgestatteten Werkraum. Am meisten Spaß machte mir der Bau eines Segelflugzeugs, das wir nach Fertigstellung „Auf der Gaste“ (Bauernland zwischen der Plaggestraße und der B 210) fliegen lassen durften, wobei die Flugtauglichkeit und die Flugdauer benotet wurden. Heute wäre das nicht mehr möglich, da inzwischen die gesamte Gaste bebaut wurde. Nach dem Werkunterricht hatte ich nach Hause nur ein paar Schritte zugehen.

Da es das letzte Schuljahr war, das wir absolvierten, ermöglichte uns Herr Kühnert durch Besuche von Firmen bzw. Institutionen einen Einblick in die Berufswelt. Als dann der Berufsberater vom Arbeitsamt im Herbst des letzten Schuljahres uns SchülerInnen die verschiedenen Berufe vorstellen wollte, hatte ich bereits einen Lehrvertrag im öffentlichen Dienst vorzuweisen.

Weitere Unterrichtskräfte waren Herr Dargel, Frau de Buhr (später Frau Geisler), Herr Imhoff und als Schulleiter Herr Kunst. In Vertretung von Frau Nowak hatten wir einige Tage Unterricht bei Herrn Dargel. Mir ist in Erinnerung geblieben, dass bei einigen unterrichtsstörenden Mitschülern, sein Rohrstock zu „tanzen“ begann.

Herr Imhoff, ebenfalls als strenger Lehrer gefürchtet, unterrichtete uns in den
höheren Klassen in Sachen „Verkehrserziehung“. Ich denke, das war
Voraussetzung für die spätere Aufgabe als „Schülerlotse“. Es war schon ein besonderes Gefühl, in weißer Schülerlotsenuniform den seinerzeit noch recht kargen Autoverkehr anzuhalten um die Erst – bis Viertklässler sicher über die Straße zu geleiten. Nachdem wir diese Tätigkeit nach einem Jahr an die nächste 8. Klasse abgeben mussten, erhielten wir als Dank für unseren Einsatz ein Buch
sowie eine Tagesreise zum VW-Werk nach Hannover.

In der 7. Klasse begann für uns der Katechumenenunterricht, der dann im folgen- dem Jahr durch den Konfirmandenunterricht abgelöst wurde. Betreut wurden wir in dieser Zeit von Pastor Gerhard Aden, der uns als letzte Klasse während seiner seelsorgerischen Tätigkeit in Schortens konfirmierte. Im Oktober 1962 verzog er nach Rastede um dort weiterhin pastoral zu wirken.
Auch wurden in den unteren Klassen Bundesjugendspiele durchgeführt.
Obwohl ich gute Leistungen auf der Kurzstrecke und im Weitsprung vorweisen
konnte, habe ich nie die begehrte große „Heuss-Urkunde“ bekommen, da die
dritte Disziplin, der Schlagballweitwurf, nicht meine Stärke war.
Auf meinem Nachhauseweg von der Schule, es muss so 1955/56 gewesen sein,
blieb ich oft vor dem Grundstück der „Familie Onnen“ stehen und schaute
interessiert zu, wie dort Ausgrabungen vorgenommen wurden. Man vermutete im Vorgarten der Familie Onnen eine germanische Begräbnisstätte. Die Leitung vor Ort hatte der Prähistoriker und Archäologe Dr. Marschalleck. Die Grabung war von Erfolg gekrönt. Man hat dort tatsächlich Artefakte aus jener Zeit gefunden. Einige Zeit später wurde aus dem Bauernland, welches hinter dem Privatgrundstück Onnen lag, Sand abgebaut. Dieser wurde als Untergrund für die zahlreichen im Bau befindlichen Fabrikhallen der expandierenden Olympia-Werke benötigt. Der Abbau des Sandes erfolgte durch die Firma Figdor, Wilhelmshaven. Die tiefen Ausbaggerungen des Geländes boten für uns Kinder einen idealen Spielplatz, obwohl es strikt verboten war das Areal zu betreten. Wie ich später hörte, hatte dort ein Kind tatsächlich noch ein Schwert aus der unmittelbar daneben liegenden germanischen Begräbnisstätte gefunden. Ob der Fund abgegeben wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.
In den Sommerferien blieb ich und auch die meisten Mitschüler daheim.
Das Verreisen war noch nicht so ausgeprägt, und es fehlte des Öfteren
am nötigen Geld.
Stattdessen streifte ich mit meinem Freund durch die umliegenden Flurstücke
und die in der Nähe liegenden Wälder „Upjeverscher Busch“ und „Barkeler
Busch“. Durch den unmittelbaren Kontakt zu Fauna und Flora haben wir
viele interessante und aufschlussreiche Entdeckungen machen können.

Wir hatten zu Hause einen relativ großen Garten, wo zumeist Kartoffeln
und Bohnen angebaut wurden. Somit war eine gesunde Ernährung
gewährleistet und die klamme Geldbörse wurde geschont. In den 70iger
Jahren, unsere Familie wohnte allerdings nicht mehr dort, wurden die Gärten
der Bewohner sowie das rundherum liegende Bauernland der dringend
benötigten Bebauung zugeführt.

Im Sommer kam immer sonntags der Eiswagen durch die Plaggestraße gefahren und machte durch heftiges Klingeln auf sich aufmerksam. Meine Schwester (geb. 1949) und ich waren dann immer sehr gespannt ob wir uns wohl ein Eis kaufen durften. Meistens funktionierte das auch. Jeder holte sich dann für 10 Pfennig (ein Groschen) eine Eiskugel.

Im unregelmäßigen Zyklus kam auch ein Verkaufswagen mit frisch angelan-
deten Krabben aus Wilhelmshaven durch die Plaggestraße gefahren. Zu jener Zeit gab es in Wilhelmshaven noch Granatfischer. Gelegentlich reichte das
Geld zum Kauf von einem Pfund Granat, natürlich ungepult.

Nicht zu vergessen ist die Verkaufstour von Wilhelm Eiben. Er versorgte in
aller Frühe die Anwohner mit frischer Milch und Butter, die in der Molkerei
Ostiem, geführt von Molkereidirektor Schlemme, zum Verkauf aufbereitet wurden. Damit die Kunden nicht in aller Frühe aufstehen mussten, wurde ein Milchgefäß mitsamt dem abgepassten Geld am Vorabend vor die Haustür hingestellt. Herr Eiben holte dann die bereitgestellten Behälter von der Haustür ab, befüllte sie am Milchwagen mit der gewünschten Menge und brachte sie zurück. Mit der Zeit wurden die kleinen Molkereien jedoch unwirtschaftlich und
mussten schließen oder fusionieren. Auch die Ostiemer Molkerei wurde davon
nicht verschont. Im Jahre 1970 wurde die angelieferte Milch letztmalig veredelt.

Ein Bauunternehmer kaufte das Gebäude und baute es als Wohnhaus mit
diversen Wohnungen um. So steht es noch heute dort.
Bisweilen kam auch ein „Schrotthändler“ in seinem langen hellbraunen Kittel zum Abholen von Alteisen vorbei. Den Namen kenne ich leider nicht mehr. Er sammelte Alteisen und brachte es nach Wilhelmshaven zur weiteren
Verwertung. Die Haushalte, die Alteisen abgeben konnten, freuten sich dann über ein paar Groschen. Für uns Kinder gab es dann schon mal für jeden einen Groschen extra. Das hörte jedoch abrupt auf, nachdem ich mit meinem
Freund sein vollbeladenes „Tempo“-Dreiradauto durch energisches Festhalten
nicht auf Touren kommen ließ.

Wenn Ende Juni der Kramermarkt in Heidmühle stattfand, zog der Kramer-
marktszug mit etlichen Festwagen, Musik und fröhlich gelaunten Menschen durch die Orte, so auch bei uns durch die Plaggestraße. Das war für uns Kinder
ein einmaliges Erlebnis. Der Besuch des Marktes war obligatorisch. Leider
hat dieser traditionsreiche Markt die Zeit nicht überlebt.
Gegenüber der heutigen Schortenser Grundschule betrieb seit Anfang der 50iger Jahre die Kaufmannsfrau Marga Janssen ein kleines Kolonialwarengeschäft. Die Kinder sagten „Tante Janssen“ zu ihr, die Erwachsenen „Tante Marga“. Auch wir versorgten uns bei“ Tante Janssen“, die nur ca. 100 Meter von uns wohnte. Selbstbedienung gab es noch nicht, die Kunden wurden noch direkt bedient. Mehl und Zucker z.B. wurden in Spitztüten gefüllt und abgewogen.

Wurst musste geschnitten und Käse aus einem großen runden Laib heraus ge-
trennt werden. Das waren arbeitsintensive Tätigkeiten. Es waren durchweg die Hausfrauen aus der Umgebung, die sich dort mit Lebensmitteln für den
täglichen Bedarf eindeckten. Zugleich war es ein Ort, wo die neuesten
privaten Nachrichten kommuniziert wurden.
Meine Schwester und ich wurden des Öfteren von einer Nachbarin mit
einem ellenlangen Einkaufszettel zu „Tante Marga“ „geschickt“. Der Grund
war immer, dass sie den Einkauf nicht bar bezahlen konnte, sondern
anschreiben lassen wollte aber selbst befürchtete, sich dort eine Abfuhr zu
holen. Nach Durchsicht des Einkaufzettels strich „Tante Marga“ dann einige
Artikel von der Liste mit gehobener Stimme, die ihrer Ansicht nicht
unbedingt notwendig waren, wie z.B. Zigaretten, Alkohol usw. Die
anwesenden Kundinnen bekamen das natürlich mit. Das war auch für uns
Kinder sehr peinlich. Irgendwann kamen wir auf die Idee, uns einfach zu
verstecken, wenn sie uns besuchte, so dass sie letztendlich doch selbst
einkaufen musste.
In Erinnerung ist mir noch folgender Vorfall geblieben: „Tante Trudi“ aus
Ostiem hatte Hühnerfutter gekauft und die Tüte auf dem Gepäckhalter
ihres Fahrrades deponiert. Vor unserem Haus fiel dann die Tüte mit dem Hühnerfutter vom Gepäckhalter und ein großer Teil des Futters breitete
sich auf dem Gehweg aus. „Tante Trudi“ schlug die Hände über den Kopf zusammen und wollte alle ihre Hühner hierherjagen. Trotz dieses Unglückes
musste ich herzlich darüber lachen. Letztendlich bekam sie Hilfe beim Zusammenkehren des Futters von einigen Nachbarn.
In den Schulferien durften wir uns morgens zum Frühstück von „Tante
Janssen“ frische Brötchen holen, das Stück zu 7 Pfennig. Das war für uns
immer etwas Besonderes. Lieferant von Brot- und Backwaren war seinerzeit
die Bäckerei Adolf Aries aus Wilhelmshaven.

Als ich auf dem Bürgersteig einmal ein Zweipfennig-Stück fand, hatte ich
das Bedürfnis, mir sogleich eine Kirsche am Stiel davon zu kaufen. Also nichts
wie hinein in den Laden. „Tante Janssen“ die im oberen Stockwerk ihren
Wohnbereich hatte, kam eiligst die Treppe hinuntergerannt, in Erwartung
eines guten Geschäftes. Dass mein Kauf eines Bonbons nicht ihren Erwartungen entsprach, ließ sie sich lauthals anmerken.
Zur Karnevalszeit verkleideten meine Schwester und ich uns mit alten ausrangierten Kleidern, die wir zu Hause vorfanden. Vor dem Gesicht hatten wir Masken angelegt, so dass man uns nicht erkennen konnte. Wir hatten abgemacht, nur zu „Tante Janssen“ zum Singen zu gehen. Gesagt, getan! Nach Ende unseres Liedes wurden wir mit einer kleinen Gabe belohnt. Auf die Frage, wer wir seien, blieben wir stumm. Auch durch weiteres Drängen nach unserer Identität, mit Aussicht auf eine weitere Belohnung, blieben wir unserem Standpunkt treu. Wir wussten, dass „Tante Janssen“, recht wissbegierig war und ließen sie ziemlich ärgerlich zurück.

In Ostiem, an der Bundessstr. 210, gab es noch das Gemischtwaren-
geschäft Lehmann, wo wir allerdings nur selten einkaufen gingen. In Richtung Schortens hatte Johann Offen sein Gemischtwarengeschäft.
Am Ende der Plaggestraße. gab es noch das Gemischtwarengeschäft von
Kaufmann Gerdes, was später von Egon Caspers übernommen wurde.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es in Schortens einen
weiteren Gemischtwarenhändler in der Eilksstraße namens „de Wall“ gab.
Unweit des Ostiemer Bahnhofs hatte der Kaufmann Egon Caspers, bevor er in
Schortens einen Selbstbedienungsladen eröffnete, sein Lebensmittelgeschäft.
Vor seinem Laden war eine Haltestelle für die Olympiabusse. Meine Mutter, die
auf den Olympia-Werken beschäftigt war, musste hier ein- und aussteigen.
Oft haben meine Schwester und ich unsere Mutter nachmittags von der
Haltestelle abgeholt. Diese kleinen Gemischtläden, die damals die Versorgung
der Menschen mit Lebensmitteln sicherstellten, sind allesamt von der
Bildfläche verschwunden. Dem Aufkommen von Selbstbedienungsläden
und Supermärkten mit ihrem riesigen Angebot und günstigeren Preisen konnten die kleinen Läden nicht kompensieren.
In Ostiem gab es auch einen Bürgerverein, der im „Ostiemer Hof“, welcher an
der Mündung B 210/Plaggestraße gelegen war, seine Zusammenkünfte abhielt. Einmal im Jahr wurde auf einer danebengelegenen Grünfläche eine
Kirmes abgehalten. Die Kinder der Vereinsmitglieder bekamen dann Freikarten
für das einzige, dort anwesende Karussell. Auf dem Freigelände von Oldig
Buscher wurden die Pferdewagen anläßlich der Kirmes bunt geschmückt,
welche anschließend mit fröhlichen Menschen beladen durch den Ort zogen.
Zur Weihnachtszeit wurde an einem Sonntagnachmittag eine weihnachtliche Vorführung dargebracht. Zum Schluss kam der Weihnachtsmann und beschenkte jedes Kind mit einer großen Tüte, die allerlei Süßigkeiten
enthielt. Danach gingen wir stapfend durch den Schnee glücklich nach Hause.
Nicht vergessen sei hier Hermann Oeltermann, der durch einsammeln von
Spenden diese Gabe erst möglich machte.

Der letzte Inhaber der Gaststätte „Ostiemer Hofes“ war Aike Bruns. Im Zuge
des Gaststättensterbens war auch diese Lokalität nicht zu retten. Heute
befinden sich in dem Gebäude Wohnungen.
Gegenüber des „Ostiemer Hofes“, an der Plaggestraße befand sich die
Gaststätte “Scheel“. Mir fiel auf, dass besonders freitags nachmittags Mengen
von Fahrrädern vor dem Haus standen. Erst später kam ich dahinter, dass es
sich um die Fahrräder von den aus Wilhelmshaven zurückkehrenden
Arbeiter handelte, die sich nach Ende des Arbeitstages und Auszahlung
ihres Wochenlohnes, Bier und Schnaps gönnten. Es soll vorgekommen sein,
dass einige Männer ihren gesamten Wochenlohn vertranken. Ein jeder kann
sich vorstellen, was für Leid in der Familie danach herrschte. Einige
energische Frauen beugten dem vor und holten ihre Männer zeitig aus
der Gaststätte ab. Auch diese Gaststätte ist nur noch Geschichte.
Auf der Plaggestraße habe ich des öfteren mit meinem Freund gefahrlos
Fußball spielen können. Autoverkehr gab es damals kaum. Nur wenn die
Olympia-Werke Feierabend hatten, wurde es etwas unruhiger auf der Straße.
Einmal erwischte uns der Straßenwärter, Ernst Behl, ebenfalls in Ostiem
ansässig, wie ich mit meinem Freund ein Straßenverkehrschild versuchte
zu lockern. Nach einer allgemeinen Mahnung, entließ er uns mit der
Maßnahme, meiner Großmutter davon Bericht zu erstatten, die er gut kannte.
Wir haben es nie wieder versucht, denn beim zweiten Mal wäre es bestimmt
nicht so glimpflich ausgegangen.
Wenn es etwas Besonderes zu besorgen galt, mussten wir uns nach
Heidmühle orientieren. Da ich nicht allein zu Hause bleiben durfte, musste
ich meine Großmutter, die bei uns wohnte, immer begleiten. Es ging durch
den Lübbensteinsweg, der im Sommer von herrlichen Kornfeldern flankiert
wurde, und ich hielt Ausschau nach Korn- und Mohnblumen die am Rande
des Kornfeldes wuchsen. Gleich bei Beginn des Weges hatten Gartenfreunde
einige Parzellen Land gepachtet, wo sie Gemüse anbauten. Weiter ging es dann
über die Bahnschienen auf dem Postweg, an deren Ende wir in Heidmühle ankamen. Ein Besuch bei „Thade Janssen“ war jedesmal ein Muss, schon allein der vielen Spielsachen wegen. Leider konnten die vielen Wünsche nur manchmal erfüllt werden, die übrigen waren Weihnachten vorbehalten.
Gelegentlich führte der Weg nach Heidmühle auch über den Ostiemer Schmiedeweg, dann weiter über einen schmalen Fußweg, zur Bundes-
str. 210. An diesem Weg wohnte in einem klitzekleinen Haus ein älterer Mann, der als Sonderling beschrieben wurde. Er wurde allgemein „Onkel Knoti“ genannt, sein wirklicher Name ist mir nicht mehr geläufig. Leider wurde
er nach Einbruch in seinem Haus Opfer eines tätlichen Übergriffs, an deren
Folgen er letztendlich verstarb. Etwas weiter als Gemischtwaren Lehmann,
stand noch mit etwas mehr Abstand von der Bundesstr. ebenfalls ein
„Häuschen“, wo eine ältere Frau wohnte, die auch sehr sonderlich auftrat. Ich
habe sie des öfteren an unserem Hause vorbeilaufen sehen. Es hieß, sie
trug mehrere Röcke übereinander und hatte die Erscheinung einer Person
aus dem damaligen vorigen Jahrhundert. Sie war allgemein bekannt als „Tante
Noti“, der richtige Name ist mir nicht bekannt.

Ein Erlebnis war auch immer ein Besuch Wilhelmshavens. Es bestand
ein regelmäßiger Busverkehr durch die Firma Pekol von Jever nach
Wilhelmshaven. Die Strecke bis zur Haltestelle, die sich damals in
der Bahnhofsstraße in Heidmühle, in der Nähe der Bar „Tiefensee“ befand,
musste zu Fuß absolviert werden. Dann ging es mit dem Pekol-Bus
Richtung Wilhelmshaven. Was mir während der Fahrt durch die Stadt auffiel,
waren die noch vereinzelt bestehenden Häuserruinen als Folge des
Krieges. Angekommen, besuchten wir zuerst Verwandte in der Jadelehstraße,
danach waren immer die großen Kaufhäuser unser Ziel, wie Karstadt, E. P. Hardt und Leffers mit ihren riesigen Angeboten. Trotz eingeschränkter Bedürfnisse, die finanziellen Mittel waren immer knapp, war es subjektiv betrachtet eine schöne Kinderzeit. Diese Zeit wird mir als geborener Ostiemer
immer „on my mind“ bleiben.
Diese endete dann Anfang April 1963 mit dem Eintritt ins Berufsleben.
1974 verzog ich dann nach Rhauderfehn. Meine Dienststelle blieb aber
weiterhin Jever.

Hartmut Kästner

PS. Sollte ich Namen oder andere Dinge falsch geschildert bzw. anders dargestellt haben so ist dies keine Absicht gewesen und bitte um Entschuldigung. Die vorstehenden Aufzeichnungen sind aus den Erlebnissen und Wahrnehmungen aus der Sicht eines Kindes heraus nach bestem
Wissen und Gewissen niedergeschrieben worden. Ich gebe zu Bedenken, dass seit Beginn der Einschulung rd. 70 Jahre vergangen sind und sich hier und da wegen der Vollständigkeit einige Lücken bemerkbar machen können.

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