Quelle: WZ-Online
Holger Ansmann erinnert sich als ehemaliger Betriebsrat von Olympia und als heutiger Geschäftsführer des TCN an den Niedergang der Werke und den Aufbau einer neuen Zukunft für den Standort Roffhausen.
„Am 14. Mai 1991 werden in der Region Wilhelmshaven/Friesland die größten Befürchtungen wahr. Die Vorstände in den Konzernzentralen der AEG und der Daimler-Benz AG verkünden die mögliche Schließung des AEG-Olympia-Werkes in Roffhausen mit über 3600 Beschäftigen. Nach jahrelanger intensiver Beratung über die Zukunft des Unternehmens eine Schreckensnachricht ohne Vorankündigung.
Die erfolgreiche Aufbauarbeit mutiger Frauen und Männer in unserer Region nach dem Zweiten Weltkrieg sollte ohne Berücksichtigung der strukturpolitischen Auswirkungen auf die Küsten-Region zunichte gemacht werden. Von dem jahrzehntelang größten industriellen Arbeitgeber im nordwestlichen Niedersachsen sollte am Ende eine Industrie-Ruine stehen bleiben. Ein Horrorszenario, das auf den energischen Widerstand aller relevanten Kräfte in der Region Wilhelmshaven/Friesland trifft und den Daimler-Benz- Konzern und seinen Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter mit einer sozialen Auseinandersetzung nicht gekannten Ausmaßes konfrontiert.
Schnell wird von der IG-Metall und dem Betriebsrat der AEG-Olympia der Schulterschluss in der Region organisiert. In dem Bürger-Komitee „Olympia – das Herz der Region muss weiterleben“ schließen sich alle gesellschaftlichen Gruppierungen zusammen. Eine Welle der Solidarität umhüllt in diesen Tagen die betroffenen Beschäftigten der AEG-Olympia. Der viel zitierte Kampf David gegen Goliath beginnt.
Ende Mai erreichen die Solidaritätsbekundungen ihren ersten Höhepunkt. Auf dem Wilhelmshavener Rathausplatz versammeln sich 10000 Menschen zu einer Großkundgebung. Das Signal ist eindeutig: Die Region kämpft für den Erhalt der Arbeitsplätze. Oberbürgermeister Eberhard Menzel trifft mit dem Satz „Wir alle sind Olympianer“ die Gefühle der Versammlungsteilnehmer.
Auf der Kundgebung nehmen auch die Vertreter der niedersächsischen Landesregierung den Daimler-Benz-Konzern in die Pflicht. Ministerpräsident Gerhard Schröder spricht bald darauf auf einer öffentlichen Betriebsversammlung in Roffhausen vor mehr als 10000 Teilnehmern. Die klare Botschaft: Der Daimler-Benz-Konzern muss seiner Verantwortung für die Beschäftigten und für die Region gerecht werden. Mit phantasievollen Aktionen und Demonstrationen in Frankfurt und Stuttgart mit jeweils mehr als 2000 Teilnehmern erhöht sich in den kommenden Wochen und Monaten der Druck auf den Daimler-Konzern.
Mit Einschaltung des Bundeswirtschaftsministers Jürgen Möllemann beginnen erste Gespräche um die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen. Sie finden unter der Voraussetzung der Aufgabe der unrentablen Schreibmaschinen-Fertigung statt. Dem Wunsch nach Verlagerung von Produktion aus anderen Daimler-Werken nach Roffhausen wird frühzeitig eine klare Absage erteilt. Die ersten dunklen Wolken der Automobil-Krise 1993 sind bereits sichtbar.
Somit bleibt die Aufrechterhaltung von technologisch modernen Unternehmensteilen der AEG-Olympia und die Fortführung in wirtschaftlich und juristisch eigenständige Betriebsteile. Ein Vorhaben, auf das sich alle Beteiligten auch mangels Alternative nach langen Monaten der Auseinandersetzung einigen. Die Idee des „Technologie Centrum Nordwest“ ist geboren und damit die Chance auf weitgehend sozialverträgliche Lösungen für die Olympia-Beschäftigten.
Am 1. Januar 1993 geht das TCN mit 14 Betrieben und 750 Beschäftigten an den Start. Mit der Gründung der TCN-Marketing GmbH wird von den Kommunen, der Landesregierung und den Gründungs-Unternehmern ein Signal für den Aufbruch in eine neue Zukunft für den Standort Roffhausen gesetzt.
Die Ansiedlung der Bertelsmann-Tochter MSN Marketing Service Nordwest im Jahre 1995 bringt dann den gewünschten Erfolg. Ende 1995 sind mehr als 1000 Mitarbeiter und zwei Jahre später mehr als 1500 Mitarbeiter in den Betrieben des TCN beschäftigt. Im Jahr 1997 gibt es weitere wichtige Weichenstellungen: Die Ansiedlung des amerikanischen Unternehmens Sykes Enterprises und die Übernahme des Areals durch die Doblinger Industriebau AG mit Sitz in München. Durch die solide und kooperative Eigentümerstruktur des TCN wird die weitere Entwicklung des Standortes nachhaltig positiv beeinflusst.
Heute gilt das Technologie Centrum Nordwest mit mehr als 2600 Beschäftigten in 63 Unternehmen als ein besonders erfolgreiches Umstruktuierungsprojekt im nordwestlichen Niedersachsen. Für mich ist es mehr. Es ist der Erfolg des gemeinsamen Handelns aller „Olympianer“ in unserer Region. Ein Erfolg, auf den jeder Beteiligte mit Stolz zurückblicken darf.“
Quelle: WZ-Online