AEG Olympia

Countdown in Wilhelmshaven

Auch Daimler-Benz konnte den traditionsreichen Büromaschinenhersteller nicht retten Von Hans Otto Eglau  Quelle: Die Zeit Online

Schon wenn er am Morgen vor der Hauptverwaltung von Daimler Benz in Stuttgart Möhringen vorfährt, wird Edzard Reuter demonstrativ mit seinem derzeit schwierigsten Problem konfrontiert: Eine geduldig ausharrende Mahnwache, bestehend aus Beschäftigten der AEG Olympia Office GmbH in Wilhelmshaven, verlangt auf Transparenten die Erhaltung ihrer bedrohten Arbeitsplätze.
Seit vergangener Woche ist die Gefahr, daß hoch oben im strukturschwachen Norden die Lichter ausgehen, in bedrohliche Nähe gerückt. Falls für Olympia bis Ende Oktober nicht noch ein Übernahmeinteressent gefunden werde, so kündigte AEG Vorstandschef Ernst Georg Stock! öffentlich an, wolle sich das Unternehmen aus dem Geschäftsbereich Büro- und Kommunikationstechnik mit seinen weltweit 6700 Beschäftigten ganz zurückziehen. Betroffen wäre davon vor allem das Werk Roffhausen am Olympia Stammsitz Wilhelmshaven, in dem derzeit noch 2700 Mitarbeiter vor allem elektronische Schreibmaschinen herstellen.
Die Aussicht, in letzter Minute doch noch einen Käufer zu finden, schätzt Stöckl allerdings auch jetzt noch „gedämpft optimistisch“ Stöckl hat zu Beginn dieses Jahres den an die Spitze der Deutschen Bundesbahn gewechselten Heinz Dürr als AEG Chef abgelöst. Und er hat seither nichts unversucht gelassen, um das einzige größere Industriewerk in der Region Wilhelmshaven (Arbeitslosenquote: vierzehn Prozent) zu retten. Das wollen nicht einmal die um den Standort kämpfenden Betriebsräte bestreiten.
Ihnen war jedoch stets klar, daß es einem möglichen Übernehmer in erster Linie um die deutsche und internationale Vertriebsorganisation und den klangvollen Markennamen Olympia gehen würde, nicht jedoch um die Produktion am viel zu teuren Fertigungsstandort Bundesrepublik. Selbst wenn es dem AEG Chef im Laufe des Oktobers noch gelingen sollte, sein Sorgenkind irgendwo anzukoppeln, würden die neuen Herren die Belegschaft sicherlich kräftig ausdünnen. Daimler Chef Reuter wäre schon froh, durch einen Verkauf zumindest 1400 bis 1500 Arbeitsplätze erhalten zu können. Reuter, der das umsatzstärkste deutsche Unternehmen vom reinen Automobilhersteller zum „integrierten Technologiekonzern“ ausbauen will, sieht sich bei AEG einem zunehmenden Erwartungsdruck ausgesetzt.
Genau sechs Jahre nach dem Einstieg von Daimler Benz beim krisengeschüttelten Frankfurter Elektrokonzern ist ein Ende der roten Zahlen immer noch nicht in Sicht. Bei einem voraussichtlichen Umsatz von gut vierzehn Milliarden Mark wird Deutschlands drittgrößtes Elektrounternehmen, so Stöckl, auch in diesem Jahr einen Verlust im operativen Geschäft von etwa 200 Millionen Mark erzielen. In dieser Hochrechnung sind eventuell notwendige Aufwendungen für Sozialpläne und Strukturmaßnahmen bei Olympia noch nicht berücksichtigt. Für den Manager Reuter, der auch AEG Aufsichtsratsvorsitzender ist, kommt es jetzt darauf an zu beweisen, daß er sich nicht nur auf Strategien und Akquisitionen, sondern auch auf das harte Geschäft des Sanierens versteht.
Niemand weiß dabei besser als er, daß von der Gesundung der AEG und der erfolgreichen Integration der Luft- und Raumfahrtfirmen MTU, MBB und Dornier in den Daimler Konzern letztlich das endgültige Urteil über seine Diversifikationspolitik abhängen wird. Zumindest bei der AEG spricht sich Reuter von eigenen Fehleinschätzungen keinesfalls frei. So habe er, wie er freimütig einräumte, „hinterher bereut“, die Bürokommunikation noch 1988 als Kerngeschäftsfeld deklariert zu haben. Dabei hatten Mitarbeiter seiner Expertengruppe für „Strategische Planung“ schon damals darauf hingewiesen, daß die AEG in dem von einem knochenharten Verdrängungswettbewerb geprägten Geschäft langfristig nicht mithalten könne.
Vielleicht sei es auch falsch gewesen, so Reuter selbstkritisch, nicht auch bei AEG Leute an die Spitze gestellt zu haben, die „unseren Stallgeruch haben“ und „deren Managementqualitäten wir beurteilen können“. Anders als bei seinen Luft- und Raumfahrtaktivitäten, deren Leitung er dem Mercedes Nachwuchstalent Jürgen Schrempp anvertraut hatte, durfte AEG Chef Heinz Dürr im Amt bleiben und zusätzlich in den Daimler Vorstand einziehen.
Dem quirligen Schwaben, der vor allem in Daimlers Automobil Establishment auf starke Vorbehalte stieß, traute am Ende auch Reuter nicht mehr zu, die AEG aus der Krise herauszuführen. Als Dürr vor fast genau einem Jahr seinen Wechsel zur Bahn ankündigte, hatte Reuter längst entschieden, seinen Nutzfahrzeug Manager Stöckl als Verstärkung in den AEG Vorstand zu delegieren — nach den ursprünglichen Plänen als DürrStellvertreter.

Stöckl, bis dahin Präsident der Mercedes Tochter Freightliner in PortlandOregon, erkannte schnell, daß es nicht nur bei Olympia brennt. So hinterließ Dürr seinem Nachfolger die ungelöste Aufgabe, das von Daimler Benz als eines der Zukunftsgebiete angesehene Geschäftsfeld Automatisierungstechnik auf Erfolgskurs zu bringen. In über vier Jahren, so kreidete Reuter dem AEGVorstand an, sei es den Frankfurtern nicht einmal gelungen, die Werksleiter von Mercedes von ihrer Technik zu überzeugen und damit die „Referenzpotentiale im eigenen Konzern auszuschöpfen“. Statt computergesteuerte Fertigungssysteme von der AEG zu installieren, hielten die meisten eisern an ihrer Zusammenarbeit mit dem Erzkonkurrenten Siemens fest.

Um AEG im eigenen Hause besser ins Geschäft zu bringen, beschlossen Reuter und Mercedes Chef Werner Niefer im vergangenen Jahr, den bereits pensionierten technischen Leiter des Pkw Werkes Sindelfingen, Wolfgang Jacobi, als Sonderbevollmächtigten in Sachen AEG Automatisierungstechnik im eigenen Konzern an die Front zu schicken. Fehlinvestitionen in den Vereinigten Staaten und Probleme mit ihrem Realzeitrechner, dem Herzstück aller elektronisch gesteuerten Fabrikanlagen, warfen AEG, weit hinter seine Wettbewerber — neben Siemens vor allem der US Konzern General Electric und die japanische Firma Fanuc — zurück. Schwarze Zahlen erwartet der neue AEG Chef in dieser Sparte frühestens 1992.

Ungenutzt ließen die AEG Manager auch die Chance verstreichen, bei der technischen Ausgestaltung der neuen Daimler Hauptverwaltung in Möhringen die „Referenzwirkung des Abnehmers Mercedes“ (Reuter) zu nutzen. Um beim Bau der 560 Millionen Mark teuren Bürostadt den Zuschlag für die Installation der Haustechnik zu erhalten, hatten die Frankfurter ein viel zu knapp kalkuliertes Festpreisangebot abgegeben. Zusätzliche technische Pannen führten dazu, daß das Zuschußgeschäft ein Loch von über hundert Millionen Mark in die AEG Kasse riß.

Herbe Rückschläge mußte die glücklose Daimler Tochter auch in der Bahntechnik hinnehmen. So verhoben sich die AEG Manager an dem prestigeträchtigen Projekt einer Magnetbahn auf dem Frankfurter Flughafen zum neuen Terminal Ost. In die Pilotanlage ihres Nahverkehrssystems unmittelbar vor der Haustür hatten die AEG Manager ganz besondere Hoffnungen gesetzt. Dies um so mehr, als die im Sommer 1989 in Betrieb gegangene, 1 6 Kilometer lange Teststrecke in Berlin nach dem Fall der Mauer nicht mehr ins Verkehrskonzept der Stadt paßt und seit August demontiert wird. Als Stöckl in diesem Frühjahr jedoch erkannte, daß die unter seinem Vorgänger vereinbarte Frankfurter M Bahn das Unternehmen zeitlich und finanziell überfordern würde, zog er die Notbremse und stieg aus dem Geschäft wieder aus. So fehlt für das vollautomatische Bahnsystem derzeit eine Referenzstrecke, Voraussetzung für einen kommerziellen Durchbruch. Die aufs Abstellgleis geratene Magnetbahn wird das leidgeprüfte Unternehmen in diesem Jahr mit einem herben Verlust belasten.

Mehr als die Hälfte des Defizits entfällt jedoch nach wie vor auf Olympia. Schon in der Frühjahrssitzung des AEG Aufsichtsrates verlangte Reuter deshalb, daß die Entscheidung über Wilhelmshaven binnen kurzem fallen müsse. Bis zum 30. Juni sollte Stöckl ein Konzept vorlegen. Doch die Gespräche mit Kaufinteressenten schleppten sich länger hin als erwartet. Vor allem die Emissäre des koreanischen Vielproduktkonzerns Samsung, die im Juni das Werk Roffhausen unter die Lupe nahmen, ließen die AEG Führung spüren, daß sie es alles andere als eilig haben. Zwar sind die Verhandlungen mit Samsung offiziell noch nicht beendet; große Hoffnungen, mit den Asiaten ins Geschäft zu kommen, scheint Stöckl jedoch kaum noch zu haben. Größeres Interesse vermutet der AEG Chef auf alle Fälle bei einem anderen Ausländer, über dessen Identität sich die Frankfurter hartnäckig ausschweigen. Wie aus Branchenkreisen zu erfahren war, handelt es sich um den US Konzern Smith Corona, einen der größten Schreibmaschinenhersteller der Welt.

Für die Amerikaner könnte eine Übernahme von Olympia in der Tat verlockend sein. Sie vertreiben ihr Programm auf dem deutschen Markt zur Zeit noch exklusiv über Philips. Im nächsten Frühjahr jedoch läuft dieser Kooperationsvertrag aus. Durch den Kauf der AEG Sparte Bürokommunikation würden sie mit einem Schlage über ein eigenes Vertriebsnetz verfügen. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie viele Mitarbeiter der Olympia Belegschaft der neue Eigentümer übernehmen würde. Zwar hat Daimler Benz angekündigt, bei einer reduzierten Produktion in Roffhausen Zulieferaufträge für andere Bereiche des Konzerns nach Ostfriesland zu vergeben — die Produktion von Kaffeemaschinen für das AEG Hausgerätewerk Rothenburg seit diesem Sommer hat einstweilen schon einmal knapp hundert Jobs gesichert.
Doch außer vielleicht noch Akku Ladegeräten für Heimwerker, Leiterplatten für Waschmaschinen oder Dunstabzugshauben für Elektroherde ist an Lohnfertigung nicht viel drin. Selbst Betriebsräte und die Gewerkschaft IG Metall räumen ein, daß es nicht sinnvoll wäre, durch eine Verlagerung von Produktionen neue Löcher aufzureißen. Auch aus dem angestammten Automobilbereich ist kaum Hilfe zu erwarten. Die Mercedes Manager sind selbst gerade dabei, Eigenfertigung auf billiger produzierende Zulieferer zu verlagern, um so der Kostenkonkurrenz der Japaner wirksamer entgegnen zu können „Abbau der Fertigungstiefe“, lautet die Parole.

Zwar pochen Niedersachsens Regierungschef Gerhard Schröder und die Olympia-Betriebsräte noch auf eine Bestandsgarantie, die – wie sie behaupten – Dürr und Reuter für das Werk Wilhelmshaven abgegeben haben sollen. Doch der Daimler-Chef bestreitet kategorisch, sich so klar festgelegt zu haben. Aussage steht somit gegen Aussage. Wenn nicht noch wirklich ein Wunder geschieht, ist daher zu befürchten, daß 88 Jahre nach Gründung der Firma Olympia in Berlin in Roffhausen die Lichter ausgehen – ein Ende mit Schrecken nach einem Schrecken scheinbar ohne Ende.

Daß Reuters Hoffnungsträger Stöckl entschlossen ist, selbst profitable Bereiche abzustoßen, wenn sie nicht mehr in sein strategisches Konzept passen, ließ er erst Anfang der Woche erkennen: Auf Anfrage bestätigte der AEG-Chef, daß er Gespräche über einen Verkauf der Kabelproduktion in Mönchengladbach-Rheydt aufgenommen habe. Begründung: Die nicht zu den erklärten Wachstumsfeldern des Konzerns zählende Sparte mit einem Umsatz von zuletzt 1,8 Milliarden Mark sei auf Dauer international zu klein.

Quelle: Die Zeit Online

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