Noch beim Aufräumen

Der Elektrokonzern AEG wird wieder einmal saniert. Viel wird am Ende nicht übrigbleiben.

Quelle:  DER SPIEGEL 43/1991

Seit Wochen schon stehen sie am Eingangstor der neuen Hauptverwaltung von Daimler-Benz in Stuttgart. Sie wollen die Manager, die den Prunkbau mit dem Stern betreten, an ihr Schicksal erinnern – und an die Zusagen, die diese ihnen gemacht haben.

Das kleine, verzweifelte Grüppchen arbeitet normalerweise im Norden der Republik. Dort, im Werk Roffhausen bei Wilhelmshaven, stellt AEG Olympia, die Bürokommunikationssparte der Daimler-Tochterfirma AEG, elektrische Schreibmaschinen her.

AEG-Chef Heinz Dürr hatte noch kurz vor seinem Wechsel zur Deutschen Bundesbahn vor einem Jahr erklärt, das Werk Wilhelmshaven stehe „nicht zur Disposition“. Dieser Satz, unterstrich Dürr, der zugleich im Daimler-Vorstand saß, „steht ohne Wenn und Aber“.

Dürr ging, und für seinen Nachfolger Ernst Georg Stöckl sind solche Zusagen nur Ballast. Unter seiner Leitung beschloß der Vorstand, die AEG werde sich aus der gesamten Bürokommunikation zurückziehen. Für die Fabrik im deutschen Norden bedeutet diese Entscheidung das endgültige Aus.

Der Zickzackkurs bei Olympia ist typisch für die AEG. Neun Jahre nach dem Vergleich und sechs Jahre nach dem Einstieg von Daimler-Benz muß Deutschlands drittgrößter Elektrokonzern wieder einmal saniert werden.

An dieser Aufgabe hatte sich schon Dürr vergebens versucht. Nicht einmal die Milliarden der Muttergesellschaft halfen weiter. Der Sanierer mußte immer wieder einträgliche Teile des Unternehmens verkaufen, um die Löcher in der Bilanz zu stopfen.

Perlen wie Telenorma (Telekommunikation) und ANT-Nachrichtentechnik GmbH in Backnang gingen während des Vergleichs zum Schleuderpreis weg. Unter der Daimler-Herrschaft verlor die AEG die Marine- und Verteidigungstechnik, den Hochfrequenzbereich und die Forschungsinstitute.

Übrig blieb ein Sammelsurium von Firmen, die Föne und Staubsauger, Kippschalter und Chips, Antennen und komplette ICE-Triebköpfe produzieren.

Schon bei seiner ersten Durchforstung des Elektro-Konglomerats hatte Stöckl, 47, ein „Schlüsselerlebnis“. Die AEG habe sich, so der Ex-Mercedes-Manager, als „der kleinste Generalist in der Elektrotechnik“ entpuppt.

Mit 13 Milliarden Mark Umsatz bietet die AEG eine breitere Produktpalette als Bosch und ABB mit jeweils über 30 Milliarden an, nur der Philips-Konzern leistet sich eine vergleichbare Vielfalt.

Der Einstieg von Daimler-Benz rettete die AEG, aber er kam den Autohersteller teuer zu stehen. Rund vier Milliarden Mark kostete der Abstecher in die Welt der Elektronik bisher.

Die Verluste häufen sich weiter. 1991 kommen im operativen Geschäft rund 200 Millionen Mark zusammen. _(* Am 11. Oktober in Wilhelmshaven. )

Daimler-Chef Edzard Reuter trauert nicht nur seinen AEG-Milliarden nach. Auch seine Vision von einem „integrierten Technologiekonzern“ blieb im Aufbau stecken. In der High-Tech-Branche ist die Daimler-Tochter wenig wettbewerbsfähig.

Gutes Geld macht die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft derzeit nur, wo sie schon immer aus Erfahrung gut war – bei Haushaltsgeräten und in der Elektromechanik mit Allerweltsartikeln wie Schaltern, Transformatoren und Kondensatoren.

Das Desaster lasten die Daimler-Manager ihrem Ex-Kollegen Dürr an. Der wibbelige Schwabe hatte darauf vertraut, alle Probleme durch seine beachtliche Kommunikationsfähigkeit lösen zu können.

Mit schier endlosen Vorträgen und ständig neuen Ideen nervte Dürr Kollegen und Betriebsräte. Nebensächliches wie die Ausschmückung der Kantine mit Pflanzen-Arrangements erklärte er zur Chefsache. Jahr für Jahr versprach Dürr bessere Ergebnisse und legte stets schlechtere vor.

Im vergangenen Jahr verlor Daimler-Chef Reuter die Geduld. Als Aufpasser für Dürr verpflichtete er den stämmigen Stöckl. Kanzler Helmut Kohl erleichterte diesem die Arbeit: Er berief Dürr an die Spitze der Bundesbahn.

Der Neue ist ein erfahrener Daimler-Mann. Für Mercedes spielte er nacheinander in Südafrika, Spanien und in den USA den Ausputzer. Unter schwierigen Marktbedingungen brachte er den Nutzfahrzeughersteller Freightliner mit einer neuen Trucker-Generation zum Erfolg. Den „Kopfsprung in die Welt der Elektronik“, sagt der Wirtschaftsakademiker, habe er gut überstanden. Ob das Unternehmen ihn übersteht, wird sich erst noch zeigen. Am Ende jedenfalls, das ist sicher, wird von der alten AEG nicht mehr viel übrig sein.

Stöckls Start ist nicht sehr vielversprechend: Er muß sich, zum Ausgleich der Verluste, von einer weiteren profitablen Sparte trennen. Für knapp eine Milliarde Mark bietet der AEG-Chef die AEG Kabel zum Verkauf an.

Das Geld kann Stöckl dringend brauchen – auch für die Schließung von AEG Olympia.

Die Bürokommunikationssparte setzt 1,2 Milliarden Mark im Jahr um. Für das laufende Jahr hatte Stöckl einen Verlust von 150 Millionen Mark errechnen lassen – danach stand sein Entschluß fest.

AEG Olympia beschäftigt 6700 Mitarbeiter, 40 Prozent davon in Wilhelmshaven. Sie müssen nun für die Versäumnisse der Vergangenheit büßen.

Schon vor Jahren war absehbar, daß AEG Olympia dem Wettbewerbsdruck der billiger produzierenden Asiaten nicht standhalten kann. „Wie ein Rufer in der Wüste“ forderte Betriebsratschef Holger Ansmann Produktionsverlagerungen aus dem weiten Daimler-Reich nach Roffhausen.

Jetzt ist es zu spät. Nur zwei potentielle Übernehmer sind noch im Gespräch, der US-Konzern Smith Corona, einer der größten Schreibmaschinenhersteller der Welt, und der koreanische Elektronik-Konzern Samsung. Beide Unternehmen aber interessiert nur das Olympia-Vertriebsnetz und die Traditionsmarke, nicht jedoch der deutsche Standort.

Vergebens versuchen die Politiker noch, die Schließung zu verhindern. Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Gerhard Schröder hatte in der vorletzten Woche angekündigt, notfalls werde sein Land die Mehrheit an AEG Olympia übernehmen. Dann aber müßten Daimler und die AEG sich an der Weiterbeschäftigung beteiligen.

Das will Stöckl nicht; er will sich von dem lästigen Werk trennen, und das so schnell wie möglich. Zur Betriebsversammlung in Wilhelmshaven am Freitag vorvergangener Woche erschien er erst gar nicht. Statt dessen schickte er den Beschäftigten einen offenen Brief.

In Stöckls Zukunftskonzept ist für die Bürokommunikation kein Platz. Er will den Elektrokonzern auf fünf zukunftsträchtige Sparten zusammenschmelzen. Aber auch dort läuft noch vieles verquer.

Die Automatisierungstechnik ist ein glänzendes Geschäft, aber nur für die Konkurrenten der AEG. Nicht einmal die Kollegen von Mercedes trauen den AEG-Konstrukteuren gute Arbeit zu. Sie bestellen neue elektronisch gesteuerte Fertigungsanlagen lieber beim Erzrivalen Siemens.

In der Sparte Haustechnik hat die AEG im eigenen Konzern ebenfalls einen schlechten Ruf. Die AEG bekam zwar den Zuschlag zum Einbau technischer Installationen im neuen Daimler-Hauptquartier. Die schlampige Ausführung des Auftrags aber kostete die AEG 120 Millionen Mark.

Nach außen ist die ersehnte Verbindung zum Mutterkonzern eher hinderlich, etwa in der Autoelektronik. Mit den Konkurrenten von Mercedes kommen die AEG-Manager nur schwer ins Geschäft. BMW zum Beispiel wird die Daimler-Tochter nicht an der Konstruktion neuer Autos beteiligen. Die Bayern fürchten, Mercedes könnte frühzeitig von ihren Modellplänen erfahren.

Eine Schlappe handelten sich die AEG-Manager bei ihren ehrgeizigen Plänen mit der Magnetbahn ein. Die Pilotanlage auf dem Frankfurter Flughafen, von Dürr als Prestigeprojekt hochgejubelt, ließ der Nachfolger schnell und leise abmontieren. Das technisch noch unreife System drohte bei einem aufgelaufenen Verlust von 20 Millionen Mark zu einem Riesen-Flop zu werden.

Die größten Hoffnungen hatten die Manager aus Möhringen in den AEG-Eisenbahnbau gesetzt. Der Bau von Eisenbahnen verspricht bei erwarteten Zuwachsraten von mehr als zehn Prozent pro Jahr ein gutes Geschäft.

Auf die herrlichen Zeiten stellten sich die Produzenten von der Konkurrenz frühzeitig ein. Elektrokonzerne wie Siemens, ABB oder die französische Alsthom fusionierten mit Lokomotiv- und Waggonbaufirmen.

Die AEG dagegen kam über einen lockeren Verbund mit der größten deutschen Waggonbaufirma Linke-Hoffmann-Busch (LHB) nicht hinaus. Die LHB-Muttergesellschaft Preussag hat wenig Vertrauen in den Partner und beansprucht die industrielle Führerschaft.

So ist die AEG in den meisten Zukunftssparten noch beim Aufräumen. „Die großen Players“, so Stöckl, hätten sich dagegen „schon längst sortiert“.

Nur in wenigen Sparten zeigt die AEG wirklich internationale Klasse, etwa bei den automatischen Verkehrssystemen. Doch in diesen Sparten ist sie zu klein. Ohne Partner geht es nicht. Überall, selbst bei den erfolgreichen Haushaltsgeräten, sucht die AEG einen, der einsteigt. Die Prüfung von Allianzen, meint Stöckl, sei „keine Zerfledderung, sondern Teil einer Vorwärtsstrategie“.

Viel hatten sich die Daimler-Manager von einem Treffen in der zweiten Oktoberwoche im Schwarzwald versprochen. Auf der Bühler Höhe boten die Schwaben den Kollegen vom japanischen Mischkonzern Mitsubishi Partnerschaften auf allen Daimler-Gebieten an.

Wie beiläufig fiel auch die Bemerkung, Daimler hätte nichts gegen eine Beteiligung Mitsubishis an der gesamten AEG. Die Japaner nickten – höflich, aber unverbindlich. o

* Am 11. Oktober in Wilhelmshaven.

Quelle:  DER SPIEGEL 43/1991

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